Margret Parpart

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Paradoxe Bildräume. Die Malerei von Margret Parpart

Peter Lodermeyer

Von Stil und Inhalt her käme man wohl kaum auf die Idee, die Gemälde von Margret Parpart mit Pablo Picasso in Zusammenhang zu bringen - und dennoch bietet ein Picasso-Zitat von 1935, eine seiner bekanntesten Aussagen über sein Werk überhaupt, eine gute Ausgangsbasis, um sich der Grundstruktur von Parparts Bildern begrifflich zu nähern. Im Gespräch mit Christian Zervos, dem Herausgeber seines Werkverzeichnisses, erklärte Picasso, dass ein traditionelles Gemälde aus einer "Summe von Hinzufügungen" (une somme d'addtitions) entstehe, bei ihm hingegen sei es eine "Summe von Zerstörungen" (une somme de déstructions). Wer die von schroffen Gegensätzen geprägten Bilder von Margret Parpart aufmerksam betrachtet, wird in ihnen sowohl Summen von Hinzufügungen als auch Summen von Zerstörungen wahrnehmen können. Mehr noch, in ihrem Werk zeigen sich Konstruktion und Destruktion in eine komplexe Dialektik eingebunden: Eine bestimmte Bildgestalt kann gerade durch das Hinzufügen eines konstruktiven Elements, etwa einer geraden Linie oder einer flächigen geometrischen Grundform, grundstürzend verändert, "zerstört" werden und genau dadurch in eine gänzlich neue Bildgestalt umspringen. Dies ist adäquat nur zu verstehen, wenn man sich verdeutlicht, dass Parparts Malereibegriff ein durch und durch prozessualer ist. Malen heißt für sie, von Entscheidung zu Entscheidung voranzuschreiten, immer wieder auf die jeweilig vorliegende Bildgestalt zu reagieren, meist spontan und intuitiv, und so zu einer neuen Ausgangslage zu kommen, die dann wieder einen erneuten Eingriff provoziert, und so weiter. Und dies stets im Vertrauen darauf, dass sich letztlich eine gültige, ästhetisch befriedigende Endgestalt einstellt, in der die dem Bildfeld zugefügten Zerstörungen summa summarum konstruktiv aufgehoben sind. Parparts Malerei kennt keine Skizzen und Entwürfe, keine Planungssicherheit; sie ist Abenteuer, Entdeckungsreise, offener Prozess und als solcher ein kontinuierlicher Dialog mit dem Farbmaterial und seinen vielfältigen Möglichkeiten.

Wie der Katalogtitel "Bildräume" deutlich macht, steht bei den Arbeiten der letzten Jahre die Erkundung bildinterner, malend erzeugter Räumlichkeit im Vordergrund. In den Gemälden tun sich immer wieder illusionistische Räume auf, die jedoch stets auch abrupt in die Fläche zurückgenommen und konterkariert werden können, sodass sich regelmäßig ein harter Kontrast zwischen Raumwirkung und materieller Bildfläche einstellt. Mit Blick auf den Prozesscharakter von Parparts Malerei ist ein spezieller Raum von besonderer Bedeutung: ihr Atelier. Wie wichtig der Hinweis auf diesen primären Bild-Raum oder besser: Bild-Entstehungsraum für die Künstlerin ist, belegen die beiden Fotografien auf den Innenseiten des Katalogumschlags. Sie zeigen die typische Arbeitssituation des Malens. Man sieht ein Gemälde inmitten des Atelierraums am Boden liegen. Dies erlaubt es der Künstlerin, es während des Malprozesses frei von allen Seiten bearbeiten zu können. Die Festlegung, welche Seite oben oder unten, links oder rechts sein soll, erfolgt stets erst nach Beendigung des Bildes. Diese offene, ganz auf den Arbeitsprozess vertrauende Malweise rührt sicherlich auch daher, dass Parpart ursprünglich als Bildhauerein gearbeitet hat. Ihr bildhauerischer Blick sieht in einer Leinwand immer das zu bearbeitende materielle "Ding" am Atelierboden und nicht allein die visuelle Bildgestalt. Aus dem Erfordernis der freien Rundum-Zugänglichkeit der Leinwände beim Malen erklärt sich übrigens zwanglos die besondere Vorliebe der Künstlerin für quadratische, richtungsindifferente Formate. Das Gemälde, das auf den beiden Atelierfotos im Katalog zu erkennen ist, ist durch vier breite Diagonalstriche definiert, so wie der zentrale Malbezirk des Ateliers, die eigentliche künstlerische Aktionsbühne, durch vier schmiedeeiserne Säulen eingegrenzt wird. Es scheint, dass diese Binnengliederung ihres Atelierraums sich strukturell in verschiedenen Variationen in manchen der Gemälde wiederfindet. Als Beispiel sei nur auf "Bildraum 5" verwiesen, wo ein perspektivisch verkürzter weißer Rahmen ein Feld innerhalb der Bildfläche abgrenzt, dessen Inneres unentscheidbar zwischen Flächigkeit und illusionistischer Bodenöffnung oszilliert.

Um ihren Gemälden ein Höchstmaß an innerer Spannung mitzugeben, nutzt Margret Parpart alle Register malerischer Gegensätze: Fläche und Raum, konstruktiv-geometrische Formen und gestisch-freie Farbverwischungen, Buntfarbigkeit und Schwarz/Weiß/Grau, Abstraktion und angedeutete Gegenständlichkeit. Wenn auch die gegenständliche Lesbarkeit ihrer Bilder, verglichen mit früheren Arbeiten, deutlich zurückgegangen ist, sind doch immer wieder quasi- oder proto-gegenständliche Elemente darin zu finden. Ein gutes Beispiel ist etwa "Gelb gefasst 2" von 2016. An drei Seiten von einem monochromen, ganz in der Bildfläche verhafteten kräftigen Gelb gerahmt, zeigt sich dort eine schräge Form in bläulichem Grau, die wie eine räumliche Öffnung der Bildfläche erscheint. Mit ihren zarten Weißhöhungen erinnert sie an eine Metallwanne, deren mattierte Oberflächen sanft das Licht spiegeln. Der illusionistische Wannenraum und die gelbe Flächenfärbung stehen in hartem, unvermittelten Widerspruch zueinander. Am linken Bildrand, von dem die graue Form abgeschnitten wird, kommt es ebenfalls zu einem Konflikt zwischen Flächigkeit und (Schein-)Räumlichkeit. Konzentriert man den Blick auf diese Zone, beginnt sie zwischen Zwei- und Dreidimensionalität unentscheidbar zu changieren. Es sind immer wieder solche Ambivalenzen oder Paradoxien, die das Auge beim Betrachten der Bilder von Margret Parpart irritieren und in eine unabschließbare Sehleistung zwingen.

Es scheint, dies rührt daher, dass in ihren Arbeiten drei ganz unterschiedliche Bild- und damit Raumbegriffe unmittelbar aufeinanderprallen. Konzentriert man sich bei der Betrachtung etwa der Arbeit "Spiegelbild" von 2017 nur auf die fleckigen oder verwischten Strukturen der gelben Farbe auf schwarzem Grund, so entspricht diese "informelle" Malerei ganz dem modernistischen Gebot der "flatness", der Flächigkeit, die insbesondere ein Kritiker wie Clement Greenberg als maßgebend postulierte. Die Bildräumlichkeit entsteht dabei nur als optischer, unmessbarer Raum, der sich allein aus den Farbwirkungen selbst ergibt. In diese flächige Malerei aber ist mit kräftigen schwarzen Linien ein rigides Liniennetz eingetragen, das sich als schematische Darstellung eines zentralperspektivischen Raumkastens erweist. Diese Grundstruktur des neuzeitlichen Perspektivraums steht in maximalem Gegensatz zur visuellen Erscheinung der gelben Farbstrukturen. Die quadratische "Stirnwand", auf welche die beiden perspektivisch verkürzten Diagonallinien zulaufen, ist oben an den schwarzen Rand angebunden, der das Bildfeld vollständig einrahmt. Damit wird sie von unten zwar in den Raum geschoben, oben aber wieder in die Fläche zurückgenommen. Doch nicht nur dies - je länger man diese markante Form in den Blick nimmt, desto deutlicher wird man ein Kippphänomen wahrnehmen können: Die Perspektivkonstruktion kann statt ins Bild hinein zu führen plötzlich nach außen, in Richtung des Betrachters, nach vorne springen. Aus dem konkaven Raum wird eine konvexe Form, eine Art Pyramidenstumpf. Dieses symmetrische Umklappen von negativer in positive Räumlichkeit macht den Bildtitel "Spiegelbild" unmittelbar verständlich.

In "Leeräume" von 2016 findet sich der beschriebene Konflikt der Bildauffassungen ganz ähnlich wieder. Interessanter Weise ist hier aber der Blick in den Perspektivraum zweigeteilt. Es ist, als schaute man durch zwei Fenster unterschiedlicher Breite in den Bildraum hinein. Damit kommt ganz unerwartet eine klassische Bildmetapher des neuzeitlichen Gemäldes ins Spiel, wie sie Leon Battista Alberti in seinem Malereitraktakt von 1435/36 definiert hat. Das Gemälde, so seine berühmte Formulierung, sei gleichsam "una finestra aperta", ein offenes Fenster, durch das der Betrachter auf das im Bild Dargestellte schaue. Es ist auffallend, wie prominent in "Leeräume" die weißen "Fensterrahmen", diese völlig homogene, die Bildoberfläche akzentuierende Einfassung, gestaltet ist. Damit kommt der dritte, der (post-)minimalistische Bildbegriff kraftvoll ins Spiel. Jedes gemalte Bild, gleichgültig wie dünn der Bildträger auch sein mag, ist primär und unvermeidlich ein materielles Objekt im realen Raum. Einer gelernten Bildhauerin ist diese Bildauffassung sicher die nächstliegende. Die "Lightbox 8" von 2017 bringt diese Auffassung besonders markant zur Anschauung. In das quadratische, von leuchtendem Rot beherrschte Bildfeld sind auch hier wieder zwei scheinbare Öffnungen eingelassen, die aber sehr schmal ausfallen und sich so gegen die Leuchtkraft des monochromen Rot nur schwer behaupten können. Es ist, als hätte Margret Parpart eine offene, minimalistische Box von Donald Judd just wieder in die Malerei zurückverwandelt, von der sich der amerikanische Minimalist einst zu befreien suchte.

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